Vor ein paar Tagen hatte ich einen komischen Impuls. Seit Jahren nun schon übe ich mich im Yoga und doch habe ich auf einmal gedacht: „und jetzt beginne ich mit Yoga!“ Man könnte meinen, ich sei in diesem Moment nicht ganz bei Sinnen gewesen oder krasser ausgerückt, ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Aber nein.. keine Sorge. Mir geht es gut und ich bin bei ganz klarem Verstand. Dennoch meine ich, das erklären zu wollen:
Yoga ist immer jetzt. Und deshalb kam bei mir vor ein paar Tagen das ganz intensive Gefühl auf, dass ich (erst) jetzt richtig damit beginne. Die Kraft und die Präsenz des Augenblicks, die ich in meinem Leben erfahren darf, ist so stark, dass sie mich dazu befähigt, eben genau das zu sagen: „und jetzt Yoga“. Ich entscheide mich immer jetzt für Yoga. In jedem neuen einzelnen Moment. Es beginnt jetzt in mir, mit mir.
Dies ist eine Erfahrung, die nicht (mehr) gedacht, getan oder gemacht wird. Sie ist einfach.
Aber das alles ist bei weitem nichts Neues und stammt letztlich auch nicht von mir. Sondern schon schätzungsweise vor über 2000* Jahren schreibt Patañjali, ein indischer Gelehrter und der wohl bedeutendste und zugleich wichtigste Yoga-Lehrer überhaupt, von dieser Erfahrung in seinem uns überliefertem Werk: das Yogasutra. Diese Schrift besteht aus nur 195 Sätzen (sogenannten Sutren/ Plural von Sutra; ein Sutra bedeutet im Sanskrit „Faden“ oder „Schnur“). Durch diese Sätze möchte der Autor den Adressaten aber nicht von irgendeiner Idee überzeugen oder gar zu einer Sache überreden, sondern es wird vielmehr beschrieben, wie Yoga erfahrbar wird und dass es eben „nur“ auf Erfahrung basiert und nicht auf gedanklichen Thesen unseres Geistes. Die allererste Beschreibung, das erste Sutra, besagt im Sanskrit: „atha yogaanusasanam“. Freier übersetzt könnte man dazu sagen: „und jetzt Yoga, welches auf Erfahrung beruht/basiert“.
Als ich vor einigen Jahren meine Yoga Ausbildung gemacht habe, haben wir uns innerhalb der Ausbildung mit den Patañjali Sutren beschäftigt. Auch nach der Ausbildungszeit habe ich immer mal wieder im Yoga Sutra Buch gelesen und über das eine oder andere „nachgedacht“… Aber ist es nicht so, dass wir manchmal Jahre über etwas grübeln und auf einmal tut sich scheinbar der Himmel auf und das, was wir so lange in unserem Geist hin und her bewegt haben, tut sich als großartige Erfahrung kund?
Das ist dann kein Nachdenken mehr. Sondern eine „zur Kenntnisnahme“, was gerade geschieht. Es ist der Unterschied zwischen denken vs. erfahren oder zwischen denken vs. wahrnehmen.
Im Yoga geht es meines Erachtens darum, das Wesen des Menschseins zu verstehen, darüber zu lernen und es zu erfahren. Wir können lernen, wie unser Geist funktioniert und wir können lernen zu unterscheiden, wer wir sind und wer eben nicht. „Jetzt Yoga“ kann nur entstehen, wenn wir die Gedanken beiseite legen und der Erfahrung Raum geben. Ich habe Gedanken, aber ich bin nicht meine Gedanken.
Hinter all meinen Erwartungen, Vorstellungen und Ideen ist ein Raum und in diesem wird es dann still. Dort erfahre ich. Ich spüre eine Kraft, eine Präsenz, die einfach da ist. Für mich ist es die innigste Erfahrung, dass Gott da ist und dass das Reich Gottes in mir/uns ist. Auf einmal ist es da. Ganz klar und deutlich.
* leider ist nichts über das Leben des Patañjali bekannt. Er soll schätzungsweise zwischen dem 2. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. Jahrhundert n. Chr. gelebt haben.